Vortrag in Rücksicht auf meine Bilder

In seinem Aufsatz Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Sprechen schreibt Heinrich von Kleist, wie heilsam dabei Bewegungen seiner hinter ihm sitzenden Schwester seien - so, als ob sie ihn stören möchte. Eine solche Störung hatte ich beim Verfertigen dieses Vortrags, als Theoretiker und Schriftsteller, der ich nicht bin, leider nicht. Um dennoch etwas hervorzubringen sei, an Stelle der Schwester, eine These in den Raum gesetzt, nämlich die, dass Kunst in einem zentralen Bereich nichtsprachlicher Natur ist. Womit ich selbstverständlich nicht sagen will, dass über Kunst nicht gesprochen werden kann oder sollte, ich finde, es wird dies viel zu wenig.

Ein Kunstwerk ist autonom, also bestimmt durch sich selbst, nicht reduzierbar auf Information oder repräsentative Funktion, unabhängig von seiner sprachlich-räumlichen Umgebung, es kann hängen oder stehen wo es mag, und ob es da gut steht oder hängt, ist eine andere Frage. In diesem Zusammenhang fällt mir Pasolini ein, der in Petrolio bemerkt, wie ihm immer klarer werde, dass sein Roman sich auf nichts anderes beziehe als auf sich selbst, er verweise auf sich selbst vermittels der Realität und nicht umgekehrt. Seine Logik stütze sich auf eine Bewegung, die sie selbst geschaffen hat. Aus einer Inschrift auf einem spätantiken Mosaik in Ravenna: „Entweder wurde das Licht hier geboren oder es herrscht hier, gefangen, in Freiheit.“ Klassisch dialektisch.___Ein Kunstwerk ist autonom, aber auch Kunst an einem Punkt ihrer geschichtlichen Entwicklung und in ihrer kulturellen Dimension soll autonom sein. Also selbstbestimmt, nicht mehr Teil eines Kultes, nicht mehr bloß schmückendes Beiwerk der Macht, kein Instrument der Propaganda, oder dieser Propaganda widerstehend, was durchaus als Gütesiegel dient, aber nur bei Propaganda aus dem Ausland... Nun ist aber die Forderung nach und der Kampf um Selbstbestimmung das eine - und wer möchte dieser Forderung widersprechen? -, das andere aber, wenn diese Selbstbestimmung nicht mehr errungen werden kann, weil sie nämlich als bereits verwirklicht bestimmt wird. Dann ist sie zu einem Auftrag geworden. Sei du selbst! Tu’s gern! Zeitgenössische Aufträge, die zwar den Vorteil haben, Zwänge gut zu kaschieren (den Zwang des Broterwerbs beispielsweise oder den Umstand, keine Wahl zu haben), und sich auch als Pflicht dem Individuum nicht aufzwängen, allerdings auch den Nachteil, in ihrer Widersprüchlichkeit kaum befolgt werden zu können: was ist nämlich, wenn ich gerne diesen Auftrag nicht befolge? Aber darin liegt vielleicht die Wirksamkeit eines Tus gerne!: der Widerspruch ist aus ihm hinausgezaubert, und mit ihm auch beschreibbare (und beschriebene) Verhältnisse. An ihre Stelle ist unverdächtige Selbstbeauftragung getreten, an die Stelle von Widersprüchen Identität.
Am kurzen Beispiel aus der Berliner Correctness-Szene:

„Im Sinne des Selbstverständnisses des Netzwerks (freier Projekträume und -Initiativen) gelten für freie Projekträume und -initiativen folgende Merkmale:
- Sie verstehen sich als freie Projekträume und -initiativen im Sinne einer
selbstbestimmten, selbstorganisierten Arbeitsstruktur und -weise.
- Ihre Aktivitäten und künstlerischen Projekte sind nicht marktorientiert.
- Sie arbeiten interdisziplinär und spartenübergreifend.
- Ihre Arbeit ist durch fließende Übergänge zwischen Kunst- und Diskursproduktion gekennzeichnet.“

Den disziplinären Charakter eines Kunstwerks ist das Netzwerk freier Projekträume und Initiativen sicher losgeworden, aber auch leider die zentrale Frage, wohin mit all der Kunst- und Diskursproduktion. marktorientiert ist man ja nicht mehr. Nur noch frei. Und dieses bekennend. Und genau darin liegt das Angebot, das die landesmittelorientierten Kunst- und Diskursproduzenten zu machen haben: leere Bestimmungen, selbstbestimmte Selbstbestimmung, Räume für Zweckfreiheit, die sich selbst zum Inhalt haben - natürlich ein Schuft, wer dazu Kitsch sagt. Und mit dem Kitsch taucht ein quasi- religiöses Moment auf, als die Moralisierung von Öffentlichem statt Fragen, bei denen es um die Benennung von Interessen, auch den eigenen, geht. Der feierliche Eifer, mit dem das Bekenntnis geleistet wird, setzt da ein, wo das Bekenntnis und das Bekannte keine Geschichte und Wirklichkeitsbezug mehr haben und wo die endlosen Gegenwart unablässig fließender Kommunikation zum Diktat geworden ist. Bekenne auch du! Die Frage, wem nützt sie, die Kommunikation, wer spricht da eigentlich, oder: wer sitzt am längeren Hebel, wer bestimmt, was gesagt wird? Diese Fragen mag man nicht mehr so. Was auch kein Wunder ist, bei der Konkurrenz, in die alle hineingepresst wurden. Konkurrenz um das, was man zum Leben braucht und zum Kunstmachen, diese Konkurrenz, nicht die Konkurrenz um bessere Ideen. Wer kämpft macht sich verdächtig, Antagonismen sind böse und wer laut wird hat unrecht. Und wer möchte das schon? Nicht bei der Konkurrenz, wo man doch so viel zu bieten hat in seiner Kommunikationskompetenz und Kreativität, wo so viel im Argen liegt, und wir es doch anpacken müssen: gestaltete Bürgerbeteiligungen; freche Umweltevents; mutig-kritisches zu bedrohten Vielfalten__Ein neues Staatskunstgenre ist entstanden. Dienstleistungen für all die bunten oder nachdenklichen Anlässe, die unsere so offene Gesellschaft nachfragt. Kunst stiftet Gemeinschaft.
Einer meiner schönsten Urlaubserlebnisse des letzten Jahres war auf der Terrasse des Peggy Guggenheim Museums in Venedig. Man geht also vorbei an all dem klassisch-modern Erlesenem und Besuchern, die den Eindruck vermitteln, sie hätten das auch bei sich zuhause rumstehen, geht auf die am Kanal gelegene Terrasse und was sieht man? Ross und Reiter, eine Skulptur von Marino Marini, erst in Ton modelliert und dann in Bronze reproduziert. Das Pferd hebt voller Entzücken zum Canal Grande hin den Kopf, der nackte Reiter breitet die Arme wie zum Sonnengruß aus. Und da ist noch etwas: Marini nahm einen Pinselgriff, steckte ihn in die Tonskulptur, und so bekam der Reiter seinen Ständer: die 2 oder Mehrdeutigkeit einer eindeutigen Handlung an einer sprachlich unscharf besetzten Stelle. In einem repräsentativen wie kontextuellen Sinne eine Zumutung, ein Witz, der seine Wirkung nicht verfehlt: jeder der die Terrasse betritt, auch der blödeste DieZügelInDerHandHalter, schaut, vergewissert sich, ob er wirklich sieht was er sieht, und lacht. Eine großartige Situation, und fast möchte ich ins schwärmen geraten, wie hier, für einen kurzen Moment, Verhältnisse außer Kraft gesetzt und der Entscheider wieder Mensch wurde. Aber dafür muss es natürlich erst Verhältnisse geben. Heute wäre ein solches Kunstwerk wohl kaum noch zu realisieren. Von einem naserümpfenden PC-Diktat in seinen chauvinistischen Kontext verbannt - wo dann ihren Ausführenden es obliegt, von dem Verdacht der Übergriffigkeit freizusprechen oder nicht - wäre jedes Utopische eliminiert. Bei Marini entstand noch der Gedanke, dass ein Gedanke allen gehört. Und ein Witz jeden, der ihn versteht.
Mir scheinen Utopie und Realismus zusammen zugehören. Sie tun das in frühen Pasolinifilmen, wo ein ewiges, unveränderliches Licht, das Licht des Mythos auf den Abfallbergen und den tristen Vorstädten den Einzelnen ihr Gesicht gibt, wo eine vor Hitze dunkel gewordene Sonne die exemplarische Realität eines Zuhälter aus dem Lumpenproletariat und seiner Maria oder des verschlagenen Kleinbürgers oder des schwitzenden Bourgois erst erschafft...
...und sie tun das bspw in einem vergangenen Rom. Der Kunsthistoriker Richard Krautheimer beschreibt in seinem Buch über die constantinische bis mittelalterliche Stadt eine Renaissance um 1300, die am Ende des westlichen Mittelalters steht und am Anfang neuzeitlicher Kunst und heute die Renaissance ist. Eine ganze Reihe Künstler gelang die Eroberung der sichtbaren Welt nicht einfach mit einem Blick auf die sichtbare Welt. Dieser Blick bedurfte eines anderen, den auf die Antike. Aber der konnte so einfach nicht geworfen werden. Denn worauf der Blick geworfen wurde war nicht ein heidnisches Rom sondern eine über Jahrhunderte christianisierte Welt, das heidnische Erbe war untrennbar geworden mit christlicher Heilsgeschichte (und natürlich mit realpolitischen Zielen, die sich damit legitimierten). Während frühere Renaissancen antik-christliche Formen, Techniken, Motive isoliert übernahmen oder mehr oder weniger gelungen zu kopieren versuchten, um sie in ein christlich-politisch-heilsgeschichtliches Bildprogramm ihrer Zeit einzubauen, tut das die Renaissance nicht. Was ihr gelingt ist zu erkennen, vielleicht, was ein Blick ist, und in diesem Moment entsteht etwas, das mit seinen klaren Volumina in einem rationalem Bildraum antik anmutet, es aber durchaus nicht ist, und nur noch vorläufig ans Christentum gebunden. Der von ihm bestimmte Blick prallt nicht nur auf die Wucht der heidnischen Antike, die Wiederentdeckung begegnet ihrem eigenen Grund. Der Blick auf das zu Entdeckende erblickt sich selbst. So wird der Mensch in die Wirklichkeit seiner Zeit gestellt, er betritt die Welt als geschichtliches Wesen. Es entsteht etwas, dass es noch nie gab und das wirklich ist. In diesem Sinne interessiert mich das Neue, als der Vorgang seiner Entwicklung, als ein sich entwickelnder Blick.
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Ende 2011 fing ich an, im damaligen Atelier eine Vortragsreihe zu veranstalten. Titel der Reihe: über Kommunismus. Die Themen u.a.: „ Diversity Management, von der neuen Vielfältigkeit im Kapitalismus als mögliches Argument für eine neue Einfalt“ von Dr. Peter Kessen, von Markus Lehner „Krise, Geld und Kapital“, es ging dabei um die Frage, warum neoklassische Wirtschaftsmodelle Krise nicht fassen können, von Helmut Höge gabs „Die chinesische Kulturrevolution – in Wiederannäherung“, von Hannes Hohn, Gruppe Arbeitermacht „150 Jahre SPD: Vom Klassenkampf zum Kniefall, Vortrag und Diskussion“, von Theodor Paraskevopoulos von der Syriza Athen eine Analyse der Lage im Land, oder von Dr. Theo Wentzke vom Gegenstandpunkt „Der Rechtsstaat....wer herrscht denn nun eigentlich, wenn das Recht herrscht“. Das Ankündigungsplakat zu dieser Veranstaltung gab ich auch als meinen Beitrag bei einer Gruppenausstellung ab, Titel (wie Thema) dieser Ausstellung: „Angst“. Es wurden dann ein paar davon übereinander an die Wand gekleistert. Meine Überlegung dabei war die Frage, wie echt ein Kunst sein darf um noch Kunst zu sein, dabei war wichtig, dass zur Eröffnung der Ausstellung der angekündigte Vortrag noch nicht stattgefunden hatte sondern erst während der Laufzeit der Ausstellung. Hatte sich etwas verändert, als aus der Ankündigung eine gewesene Ankündigung wurde? War mein Beitrag erst ein Plakat, dann ein Kunstwerk? Die ganze Zeit Kunstwerk? Oder Kunstwerk und Plakat? Andersrum gefragt: man kann ja nun alles mögliche als Kunst reklamieren oder bestimmen, aber kann man den Vorgang umdrehen? Wenn etwas irgendwann anfängt, Kunst zu sein, wann und wie hört es damit wieder auf? Wem obliegt das? Ich denke, diese Frage geht nicht nur Gebäudereinigungsfirmen an und Entrümpelungsdienste (als umgekehrtes „Framing“), sondern ist eine grundsätzlichere, wenn die Bestimmung ein generierendes der Kunst geworden ist. Und die Geschichte der Kunst des 20.Jahrhunderts ist voll von Beispielen, wie nicht/noch nicht als kunstwürdig erachtetes als Kunst bestimmt wurde und dadurch erst zu Kunst, mit großer Ausstrahlung. Ganz reale und nicht mehr gemalte Essensreste -Stillleben, längere Spaziergänge in der Wüste inklusive Steine sammeln -Landschaft, Nackte, die sich in blauer Farbe wälzen und dann auf der Leinwand -Akt ... eine dynamisch-widersprüchliche Entwicklung, ein Kampf auch um den Anspruch, die Geschichte seiner Emanzipation selber zu schreiben (und sich von den Herrschenden dafür bezahlen zu lassen), Souverän des Symbolischen zu werden, was untrennbar verbunden ist mit dem Ringen um echte Kräfteverhältnisse. Heute kann alles Kunst sein, und jetzt? Ist die große Freiheit eingetreten (eine Freiheit, die ich nicht zurückgeben kann), und statt Verbote gibt es nur noch ein Absatz- weil Überproduktionsproblem? In der Ausstellung jedenfalls wurde mein von mir als Kunst bestimmter Beitrag als Kunst anerkannt. Und der Inhalt des Plakates nicht mehr zur Kenntnis genommen, schade eigentlich, weil der war wirklich happig. Der Pasolini-Bourgois hätte sich über die gewitzte Zumutung des Gegenstandpunkts, wer herrscht denn, wenn das Recht herrscht? noch aufgeregt. Ob er mir trotzdem den Kunststatus erteilt hätte, das wissen wir nicht. Vielleicht wäre ihm das alles auch zu echt gewesen.
Wer bestimmt kann auch anerkennen. Aus der Ankündigung eines Seminars an der Städelschule: "Falls die Rede von der „sich globalisierenden Kunst“ nicht bloße Propaganda für Globalisierung ist, so stellt sich die Frage: Auf welchen kleinsten gemeinsamen Nenner muß die Kunst reduziert werden, damit sie global - d.h. in jedem kulturellen Kontext - als Kunst anerkannt wird?" Spontan hätte ich Ware gesagt - und dann wäre mir aufgefallen, dass ich meine Sicht dieser Frage näher erläutern müsste, vielleicht an etwas, das früher gemeinhin nicht als Kunst galt, dem Kitsch. Ein Besucher der Vortragsreihe erzählte mal, dass er seine Doktorarbeit (in Kulturwissenschaften) darüber schriebe, nämlich über Kitsch in seiner sozial-kulturellen Funktion der Ausgrenzung, also Hochkultur vs. schlechter Geschmack, Establishment gegen Subkultur usw. Ich gab zu bedenken, dass zum einen heute nicht mehr ausgegrenzt wird, Integration sei doch das demokratischere Herrschaftsmittel, dass aber vor allem das Urteil „Kitsch“ heute doch ohne Belang wäre, beim Produzenten wie beim Konsumenten. Ich kenne jedenfalls keinen, der Kitsch herstellt, weil jeder es nämlich wenn, dann freiwillig tut, absichtlich, uneigentlich, ironisch, das Ende des Kitschzeitalters am Beginn des postbürgerlichen sozusagen, und wer möchte auch so vermessen sein oder elitär, dem Kunst- oder Kulturkonsumenten, der mit seinem Geld gerade seine Wahl getroffen hat, diese souveräne Entscheidung wegzunehmen? Markt wirkt eben nicht normativ, im Gegenteil. Ob Meisterwerk in Öl, ob flippiger DJ-Auftritt für die Ausstellungseröffnung, die schicke Installation, die den Immobiliendeal veredelt oder die Dienstleistung eines alternativen Trauerrituals (man fasst sich an den angemalte Händen und tanzt im Wald um Bäume, bezahlt wird 14 Tage nach Rechnung): auf dem freien Markt sind sie alle gleich insofern sie alle nur bestimmte Marktsegmente bedienen. Nun hat aber auch der freie Markt seine Grundlage, spontan kommt er nicht zustande, und davon bekam ich 2013 eine Lektion: in einem seit vielen Jahren leerstehenden Raum – dem Vortragssaal der Akademie der Wissenschaften, gehört dem Land Berlin, das in dem Gebäude noch weitere tausende qm Leerstand verwalten läßt - veranstalteten ein paar Künstler, darunter ich, eine große Gruppenausstellung, unter besonderen Umständen und mit kleiner Vorgeschichte. In diesem Raum nämlich machte ich ein paar Wochen vorher schon mal eine Ausstellung, mit Gustav und Anselm, was der Anfang einer kleinen Ausstellungsreihe werden sollte. Aber ein politischer Wind hatte sich gedreht, die 3er Ausstellung ging gerade noch so über die Bühne, an eine weitere Veranstaltung war überhaupt nicht mehr zu denken, und ebenso standen Künstler plötzlich ohne die fest zugesagten Ateliers in dem Gebäudekomplex da. So entschieden wir uns, trotz aller Widrigkeiten, im Vortragssaal einen offenen Ort der Begegnung entstehen zu lassen, sprich große Berliner Gruppenausstellung mit Arbeiten von 90 Künstlern. Ohne Vertrag, aber mit Nachschlüssel. Die Ausstellung eröffnete an einem Wochenende erfolgreich gesellig. Am Montag wurde die Sache ruchbar und der Zylinder vom Hausmeister ausgetauscht, der Raum war nicht mehr zugänglich. Richtig Fahrt nahm die Sache an, als die Berliner Finanzverwaltung verlautbaren liess, dass, falls die Künstler den Raum nicht räumten, die Kunst entsorgt werden würde, und als dies als DPA Newsticker rausging, schauten ziemlich viele auf eine unsichtbar gewordene Ausstellung. Unsichtbarkeit übt vielleicht eine noch größere Anziehung aus als Transparenz, und diverse Journalisten umrundeten von außen den geschlossenen Raum. Einer rief mich in diesen Tagen an. Aus einem lustigen Missverständnis heraus begrüßte ich ihn mit Genosse. Genosse Jens Bisky schrieb dann im Feuilleton der Süddeutschen, dass da Künstler sich ein Recht über dem Recht angemaßt hätten. In einem hatte er ja schon recht: wer die Ware anerkennt, anerkennt nicht die qualitativen Eigenschaften eines Dings an, er anerkennt mit der Ware Verhältnisse, in denen diese Dinge erst Ware sind, also auf eine bestimmte Weise und unter bestimmten Bedingungen hergestellt und getauscht werden. Und innerhalb dieser Verhältnisse verfügt dann ein Künstler so über sein Bild wie ein Hauseigentümer über einen Raum. Das Land als Eigentümer und gedachter Unternehmer kann ihn einfach leerstehen lassen so wie ein Künstler als Bildeigentümer sein Bild so malen kann, wie er will, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Ich weiß natürlich nicht, ob Herr Bisky über all das nachdachte. Jedenfalls schrieb ich ihm, dass, hätten sich die Bürger der ddr nicht ein Recht über dem Recht angemaßt, er heute noch seine öden Artikel für den grauen SED-Staat schreiben würde. Der Raum steht übrigens heute noch leer, die damals versprochenen Ateliers auch.
Aber zurück zum Anfang, den des Kitsches, denn es gab ihn ja nicht immer. Eine barocke Büßerin mag übertrieben feuchte Augen haben, aber wirklich kitschig ist sie noch nicht. Die Nazarener auch noch nicht, auch wenn sie mit ihren frommen Bildern die Vorlagen lieferten für all die frommen Heiligenbildchen, die später und über Generationen von Nonnen- in Kinderhand gegeben wurden. Sie lieferten aber auch, mit ihrer berechtigten Flucht vor einem verstaubt-lächerlichen Klassizismus einer Wiener Kunstakademie, die Vorlage für Künstlerdissidenz und ein Beispiel, wie man einen Auftrag sich selbst erteilt. Diesem Auftrag folgten sie und landeten im verlassenen Kloster in Rom, um da von König und Reich zu träumen, was zu diesem Zeitpunkt aber schlimmstenfalls zwangsneurotisch war. Für einen kurzen Moment gelang ihnen großartige Kunst, in einem imaginärem irgendwo, zwischen dem Nicht mehr und dem Noch nicht. Kurz waren sie in ihren Träumen den realen Ereignissen voraus, vielleicht einen halben Schritt nur vor nationalem Kitsch und andächtig verklärter Ware, die ein jeder herstellen kann, aber der genügte. Ist dieser Vorsprung noch zu generieren? Eilt nicht die Bestimmung dir bereits voraus, so wie der Sinn, oder wie die Ware dem Wunsch? Wo du noch nicht bist, ist sie schon längst da? Aber das ist kein Problem mehr. Sondern nur das Ende des Kitsches und der Anfang des Kults, die hysterische Identität. ________

Malen nach dem Modell. Es soll stillhalten und ich so tun als hätt ichs im Griff. Ich spiele den Künstler und bereite das Szenenbild vor. Etwas, das als Staffelei dient, bei großen Zeichnungen dient dazu der Boden; Scheinwerfer werden ausprobiert, Schlagschatten vielleicht, dazu ein Licht von seitlich unten, eine grundierte Platte, ein Fundstück, das soll das Bild werden, Blumen. Ich stecke sie dem Modell in die Haare. Es ist interessant wie sehr die gegenseitige Verkleidung als Maler und Modell die Situation entspannt. Und den Grund gibt für Absichten, für ein Gespräch, für Posen, in denen man sich gerne zeigt. Früher, als ich mit Porträts anfing, hörte ich öfter die Frage, wen die Zeichnung (oder das Bild) darstellen soll. Je weiter ich in eine Kunstwelt hinein wuchs, desto mehr verlor sich diese Frage, allerdings nur um in elaborierter Weise wieder aufzutauchen: als Frage nach einer Bedeutung. Beides geht an der Realität und also Schwierigkeiten eines Porträts vielleicht vorbei. Eine zentrale Schwierigkeit ist recht gut in dem zusammengefasst, was man in einem klassischem Bild Zeichnung nennt (aber gemalt ist, oder gedacht), also die zweidimensional-lineare Darstellung eines geometrischen Körpers, beispielsweise eines Kopfes mit all seinen Verdrehungen, Verkürzungen, linearen Konfusionen, die sehr konfus werden können, wenn die Zeichnung nun eben nicht von einem Foto übernommen ist, sondern erst zusammen mit dem Farbräumlichen des Bildes, dessen Teil es ist, entstehen muss. Aber das Modell bewegt sich schon wieder, ich mich auch, und schon ist die Zeichnung verrutscht und unfreiwilliger Kubismus entstanden. Statt einer schönen Kinnlinie grotesker Unsinn, statt eines Auges und eines Blicks Misslingen, das malerisch nicht gelingen kann und, wenn ich trotzdem versuche, das Misslungene als Richtiges zu beweisen, zu einer Art Psychologisierung führt, zu einer verzweifelten Suche nach Bedeutung, die in dem Maße brisant wird, in dem mit dem Verlust der Zeichnung auch die Farbe aufhört, Lichtphänomene zu erzeugen, leuchtende Schatten bspw , und sie wieder das wird, was sie am Anfang war: durchgefärbter violettgrauer Brei auf der Palette. Ich höre auf zu reden und schau wieder ins Gesicht des Modells, in die Realität des Anderen, der etwas von mir erwartet, den ich suche, und der mich in meinem Misslingen stört.
Jemand sagte mal zu mir, er hatte sich Bilder von mir angeschaut, dass er gar nicht wisse, wo meine Grenze sei. Das als Kompliment zu verstehen tat ich zwar, es fiel mir aber schwer. Weil mir Grenzen wichtig sind, ich setze sie mir mitunter gerne selber, um sie dann ein wenig zu überschreiten, beispielsweise als Grenzen meines malerischen Vermögens. Schon wieder gelingt mir kein Impressionistenbild, der Leuchtschatten is futsch, es ist zum kotzen, aber mit der nicht genommenen Hürde, richtige Zeichnung und farblichen Aufbau zu koordinieren, dem Bild ein Gesicht zu geben, erst dadurch tritt, mit der Realität der Schwierigkeiten, das nichtidentische Doppel des Anderen als Gegenstand des Bildes ins Bild. Absichtlich kann man keinen Fehler machen, und liegt nicht genau darin der Lustgewinn des ganzen Vorgangs, sofern er gelingt?
Ein kurzes Aussetzen eines unentwegten sprachlichen Kontinuums, eine Lücke, durch die die Absicht hindurch schaut, als wäre sie nicht die meine? „Nicht ich weiß es“, schreibt Kleist in seiner Verfertigung der Gedanken, „ein Zustand in mir weiß es“. Ein Zustand vielleicht, über den man nicht gänzlich verfügen können darf. Sonst tritt er nicht ein.
Der Vortrag ist zu Ende. Wenn mit diesem Satz der Vortrag beendet wäre, wär das ein Performativ. Ein Satz als sprachliche Handlung, die den Sachverhalt erst schafft, von denen der Satz dann berichtet. Das Performativ hat etwas generiert und verschwindet in genau diesen Moment, notwendigerweise, sonst käme es nicht zu dem Ergebnis, das gleichzeitig seine Bedingung ist.
Die Logik eines Kunstwerk, schreibt Pasolini, stütze sich auf eine Bewegung , die es selbst geschaffen hat. Es verweise auf sich selbst vermittels der Realität und nicht umgekehrt. Dabei tritt es hervor. Dieses Hervortreten ist seine Gegenwart.
Ich weiß nicht, ob Kunst sich auf eine autonome Handlung gründet. Sie tut es irgendwie und irgendwie nicht. Vielleicht ist ein Bild als Kunstwerk etwas anderes. Das Andere der Sprache. Etwas, das mir ewig Rätsel bleiben wird, und ich hoffe kein falsches Geheimnis.

Berlin, Januar 2015